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Logbuch der SY Seluna

25. Februar 2011: Ein Dorf im Ausnahmezustand

Leeres-Dorf-Bild
Ein paar Tage ist es her, dass wir von einem grossen Feuer im Dorf Playon Chico hören. Um zwei Uhr morgens sei es ausgebrochen. Einige Kunas konnten sich nur noch durch einen Sprung ins Meer vor den Flammen retten. Sie plantschten wild im Wasser, da sie längst nicht alle schwimmen können. Wie durch ein Wunder wird niemand verletzt. Aber von etwa 30 Hütten und den Habseligkeiten ihrer Bewohner bleibt nichts mehr übrig. Wir waren sowieso auf dem Weg gen Osten und machten kurzerhand Stopp in Nargana, um ein paar Kilo Reis zu kaufen, die wir spenden wollten. Dann segelten wir die 25 Meilen nach Snug Harbor, von wo aus wir mit unserem Dinghy nach Playon Chico fuhren. Das Dorf schien aussergewöhnlich ruhig und leer. Zwei Polizisten sassen gelangweilt im Schatten vor ihrem Posten. Weiter vorne lungerte ein ungepflegter Mann herum. Dann entdeckten wir ein paar spielende Kinder. Eine Frau verschwand in einem Hauseingang. Ansonsten nichts.
Baustellenbild
Wo waren sie nur alle? Wir gingen ein paar Schritte durch das Dorf. Und da, auf der anderen Seite herrschte emsiges Treiben. Alle Männer des Dorfes waren dabei, die abgebrannten Hütten wieder neu aufzubauen. Die einen brachten vom Festland grüne Palmwedel, womit die Häuser gedeckt werden. Die anderen turnten auf den frisch aufgebauten Gerüsten herum, verschnürten im Abstand von etwa einem Meter dünne Querbalken, bogen um diese die Enden der Palmwedel und banden sie fest. Stolz erzählten sie uns, 15 Mann bräuchten nur 20 Tage, um ein Haus zu bauen. Fasziniert sahen wir eine Weile zu. Ein paar von ihnen riefen uns zu: "Ja, macht ein Foto." Nur um dann lachend hinzuzufügen: "Ein Dollar!" Sie machten sich lustig über die Verfügung des Kongresses, der es den Touristen nur gegen Bezahlung erlaubt, Fotos von Kunas zu schiessen. Traditionellerweise kennt man in Kuna Yala keine Arbeit gegen Bezahlung. Die Dorfgemeinschaft ist sehr stark und funktioniert - wohl gerade weil hier Geld nicht so eine grosse Rolle spielt. Und wenn der Sahila bestimmt, dass die 300 Männer des Dorfes in 15er Gruppen aufgeteilt werden, welche jede dann zwei Hütten wieder aufbaut, dann wird das sofort angepackt. Auf kaum einer anderen Grossbaustelle wird so emsig gearbeitet wie hier!
Drachenbild
Mitten zwischen den Arbeitern lassen ein paar Kinder ihre Drachen fliegen und fangen mit ihren unglaublich langen Schnüren schon mal einen Dachdecker ein. Der lacht nur und hebt die Drachenschnur über seinen Kopf. Wir suchen nach einem befreundeten Kuna und finden seine Familie. Er sei unterwegs in den Bergen und komme jeden Moment. Aber er kam nicht mehr. Stattdessen rannte jemand zum Sahila, dem Dorfchef, um ihm auszurichten, dass Segler auf der Insel seien. Nur kurze Zeit später stand ein alter Kuna vor uns und übergab uns würdevoll ein Schreiben, auf dem vermerkt war, dass er vom Sahila befugt worden sei, von den Seglern für's Ankern 10 Dollar einzukassieren. Plötzlich waren wir umringt von einem Dutzend Leuten, die alle kaum spanisch sprachen. Ich packte die Chance und fragte, ob es nicht möglich sei, mit dem Sahila persönlich zu sprechen. Der alte Kuna führte uns in die grosse Versammlungshütte, wo sich einige Kilo Reis und andere Lebensmittel stapelten, wahrscheinlich Hilfsgüter aus Panama City. Mitten in der riesigen Hütte lag der noch ältere Sahila in der Hängematte. Sein Übersetzer hielt auf der Bank Siesta. Ich hoffte nur, wir seien eine willkommene Abwechslung und nicht eine Störung... Der Übersetzer bat uns zu sich auf die Bank und wir zeigten ihm unseren Kuna-Yala-Cruising-Permit, der uns eigentlich erlaubt, überall in Kuna Yala zu ankern. Doch einige Dorfgemeinschaften wollen selbst über ihr Gebiet bestimmen und dafür einkassieren. Hier gibt es eine Unklarheit über die Kompetenzen. Uns ging es eigentlich nicht um das Geld, auch wenn es uns zugegebenermassen zu teuer wäre, wenn wir an jedem Ankerplatz nochmal zusätzlich zu dem Panama-Permiso und dem Kuna-Yala-Permiso Ankergebühr bezahlen müssten. Es war für uns viel mehr die Gelegenheit, einen Sahila in seinem Element beobachten zu können. Er war energisch, sprach sehr bestimmt und zeigte immer wieder mit dem Finger auf den Übersetzer. Als er sich besonders aufregte, hob er gar ein Bein aus der Hängematte, um das Gesagte zu unterstreichen. Und wir verstanden kein Wort ausser Kongress und ankern. Der Übersetzer jedoch studierte gründlich das Papier, das wir ihm vorlegten, und verteidigte unsere Ansicht. Am Ende der Diskussion mussten wir ihre Ankergebühr nicht bezahlen. Er wolle die Thematik aber unbedingt am grossen Kongress der Sahilas in drei Monaten vorbringen. Beim Hinausgehen zeigte er uns dann einen grossen Aushang, der darauf hinwies, dass das Dorf sich im Ausnahmezustand befindet. Er bat uns um eine Spende für das Dorf und um eine Kopie des Kuna-Yala-Permits. Natürlich liessen wir ihm beides zukommen. Und so verliessen wir das Dorf ohne frische Früchte, dafür aber mit vielen neuen Eindrücken.
Letzte Änderung am 31 03 2011 durch Gesina und Leo. Feedback/Kontakt