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Logbuch der SY Seluna

Fernweh

Seit Monaten hat uns die Rekonvaleszenzroutine im Griff. Wir können mit mir keine grossen Sprünge machen und nehmen jeden Tag, wie er kommt. Immerhin machen unsere Pazifikvorbereitungen gute Fortschritte. Das neue Bimini hält unser Cockpit trocken, und dank Regenrinnen die Tanks umso nasser. Ein paar Fender haben massgeschneiderte Anzüge bekommen und kleben nun am Stoff des alten Biminis statt an den Fingern. Und ein Cockpitkissen ist schon neu bezogen. So werden die Wachen - das Schlafen? - im Cockpit gemütlicher. Ja, wir sind ganz schön viel am nähen und sparen so eine Menge Geld und Ärger. Alles und jedes Ding braucht in den Tropen einen Sonnenschutz. So z.B. die Gummizüge, die unser kleines Sonnensegel halten. Wir sind einfach begeistert, dass wir das alles selbst machen können, wann und wo wir wollen.
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Und an manchen Tagen passt einfach alles: Mir geht's gut, die Sonne scheint und das Wasser ist klar: schnorcheln! Wir entdecken die Riffe rund um Waisaladup. Gestern waren wir am Aussenriff. Und mit uns Milliarden von etwa sechs Zentimeter kleinen Köderfischen. Wir fühlten uns wie Wale inmitten dieses faszinierenden Schauspiels. Wir schnorchelten dem Riff entlang, unter uns Wälder von riesigen Weichkorallen. Und der silberne Schwarm wollte kein Ende nehmen.
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Waisaladup gehört zur Green Island-Gruppe, und die ist ziemlich beliebt vorallem bei amerikanischen Seglern. Aber jetzt ist Daheim-Bleib-Zeit für regenscheue Saisonniers. Wir sind immer mal wieder ganz allein. Unser Ankerplatz ist einfach genial: ein etwa sieben Meter tiefer Sandtopf, in jede Richtung leicht ansteigend, kein Riff weit und breit. Wir haben es in den letzten zwei Wochen auf Herz und Nieren geprüft - den Ankergrund, unser Ankergeschirr, unsere Seluna und unsere Nerven: Zweimal kam eine heftige Gewitterfront vorbei mit Böen von über 50kn.
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Sturm! Sofort baute sich eine steile Wellen auf, alles war weiss, es schüttete waagrecht. Mein Herz raste und meine Leber meldete: dringend tief durchatmen! Und das Unwetter kam natürlich einmal mitten in der Nacht und einmal morgens um fünf - auch nicht viel besser. Leo kontrollierte, ob auch nichts davonfliegt und dann warteten wir ab. Mehr gab es nicht zu tun. Und mehr konnten wir nicht tun. Ein Nachbarschiff meldete auf dem Funk, dass ihr Anker nicht hält. Aber bei dem Wind würde man nur bei Lebensgefahr ins Dinghy steigen um zu helfen. 15 Minuten wehte es mit 9 bis 10 Beaufort, dann nahm der Wind endlich wieder etwas ab. Für die Nichtsegler unter Euch: 10 Beaufort entsprechen 90 bis 100km/h. Dächer können abgedeckt werden, Bäume entwurzelt.
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Allein in Green Island sind zwei von sechs Schiffen auf's nächste Flach gespült worden. Als es ruhiger wurde haben wir sie mit vereinten Kräften von ein paar Dinghys wieder frei bekommen. Bei uns an Bord war alles okay. Ausser einem kleinen Loch in der Persenning (ja, das riesige Sonnensegel war und blieb(!!!) oben!) hatten wir keine Schäden und wir haben unsere Seluna noch ein bisschen mehr lieb gewonnen. Ja, sie wird uns sicher überallhin bringen.

Das Wetter scheint also auch noch im dritten Guna-Yala-Sommer für uns ein paar Überraschungen bereit zu halten. Und der Congreso General der Guna-Indianer auch: Ein Boot mit Offiziellen kam vorbei und verteilte ein Merkblatt: fischen, Langusten tauchen, Touristen herumfahren und Sportarten wie Geräte tauchen, Kite surfen etc. sind verboten. Aber vermutlich wird das die meisten Cruiser auch weiterhin nicht davon abhalten. In Guna Yala gibt's keine Polizei und dank der Drogenmafia hat das Militär anderes zu tun, als kitende Segler zu büssen. Ja, die fehlende Polizei sollte kein Grund sein. Ist sie aber. Leider. Wir wünschten uns, es gäbe zumindest irgendwelche Kontrollen bei den Backpacker-Booten, denn sie gefährden ahnungslose Touristen. Erst vor ein paar Wochen haben wir einen Funkspruch von einer sehr verängstigten Touristin gehört, die nur noch nach Hause wollte. Der Kapitän ihres Schiffs hatte auf dem Weg von Portobelo, Panama, nach Cartagena, Kolumbien, einen Motorschaden und wollte also segeln. Nach acht Tagen (normalerweise braucht man für die ganze Strecke zwei bis drei Tage!) liefen sie in Guna Yala auf - hatten also etwa einen Fünftel des Wegs hinter sich gebracht. Am nächsten Tag hockten sie schon auf dem nächsten Riff. Mit nur noch Reis und Wasser an Bord waren sie so langsam am verhungern. Als andere Segler zu Hilfe kamen und die Touristen nur noch schnellstmöglich von Bord wollten, hielt der Skipper die Pässe zurück. Er hatte mit dieser Crew aus Panama ausgecheckt und wollte nicht in Erklärungsnotstand kommen, wo denn die Leute abgeblieben waren...

Guna Yala ist im Wandel. Wir sind hier angekommen, kurz nachdem das erste Internetcafé hier aufgebaut wurde und die erste und einzige Strasse nach Guna Yala fertiggestellt wurde. Haben miterlebt wie ein Jahr später der Verkehr darauf eingeschränkt wurde - zu viele Touristen. Später wurde sie wieder geöffnet - vielleicht das Geld? Wie der Alkohol verboten wurde - auch nur zeitweise. Wie der wichtigste Flughafen ausgebaut wird und wie die Dörfer mit Strom für Strassenlampen und Fernseher ausgerüstet werden. Und dass man nun offiziell Guna Yala statt Kuna Yala schreibt. Viele Veränderungen in kurzer Zeit. Und das nicht nur hier. Viel diskutieren wir. Und sind manchmal neidisch auf die Segler, die sich vor 30 Jahren auf den Weg um die Welt gemacht haben und Inselträume und eine neugierige Gastfreundschaft beschrieben haben, die wir auf unserer Reise so vielleicht nirgendwo finden werden. Doch: "Es gibt kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte; es gibt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet, und die echte Sehnsucht muss stets produktiv sein, ein neues Bessres zu erschaffen." (Goethe) In diesem Sinne nehmen wir uns an der Nase - und drehen sie nach Westen. Fernweh.

Letzte Änderung am 26 07 2013 durch Gesina und Leo. Feedback/Kontakt