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Logbuch der SY Seluna

Kalte Füsse

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Es wird hell. Zeit zum Aufstehen und sich über den kalten Boden wundern. Willkommen im Humboldt-Strom! Aber egal, an baden ist sowieso nicht zu denken: willkommen in Panama City. Hier wird nicht gebadet, hier wird eingekauft was das Zeug hält. Erstens ist's nirgendwo in der Südsee wieder so billig, zweitens gibt's hier praktisch alles, was das Schiff begehrt und drittens muss sich die super teure Dinghydockgebühr in La Playita ja auch irgendwie bezahlt machen.
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Die grossen Supermärkte haben sich an den Anblick von Gringos mit übervollen Einkaufswägen schon gewöhnt. Nur die Taxifahrer wundern sich manchmal und fragen neugierig, wofür man das alles braucht. Und schon sind wir bei einem Lieblingsthema der Segler in Panama City: Taxis. Die beiden Ankerplätze der Stadt liegen einander gegenüber an einer der Stadt vorgelagerten, schmalen Landzunge. Und hier gibt es zwar einen Busdienst, der aber selbst von Einheimischen nicht gerade rege benutzt wird. Denn der Bus fährt einzig vom Ende der Landzunge bis zum ersten Viertel der Stadt, dem Chorrillo. Die Häuserfassaden dort sind rissig, fast schwarz und an einem Gebäude fehlt sie ganz und man kann gleich direkt ins Treppenhaus schauen. Auf ein paar wenigen Balkonen gibt es wenigstens grüne Pflanzen. Ansonsten viele dunkle Hinterhöfe und unheimliche, enge Gassen.
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Es gibt hier eigentlich nichts, was das Herz erfreut. Nur an einer Haltestelle in diesem Viertel trauen wir uns umzusteigen. Ein paar Tage später aber meint ein Buschauffeur, es sei doch viel sicherer, im Bus zu warten. Zweimal sahen wir in diesem Viertel ein Grossfeuer brennen. Panama, ein Schwellenland. Doch an diesem Ort lässt sich das noch nicht einmal erahnen. Und so kommt es also, dass man in Ermangelung an Alternativen mit dem Taxi in die Stadt fährt. Es gibt eine Kooperative von Taxis, die für einen Dollar pro Person ihr Taxi füllen und zum grossen Plaza 5 de Mayo fahren. Zu spät sollte man allerdings von dort nicht zurück wollen, sonst wird das Warten an diesem Verkehrsknotenpunkt ungemütlich. Neben der $1-pro-Person-Variante gibt es noch jene Fahrer, die nach Hautfarbe unterscheiden und geradeheraus sagen, dass der Preis für Hellhäutige doppelt so hoch ist. Dann gibt es die "normalen" Taxis, die während der ganzen Fahrt über die $1-Taxis lästern. Weiter im Angebot gibt es jene, die für die gleiche Strecke gern 10 oder gar 15 Dollar hätten. Es soll Touristen geben, die das bezahlen. Und ganz gemein, aber zum Glück sehr selten, sind jene, mit denen man einen Tarif aushandelt und die dann ein paar Blöcke vorher halten und sagen, wenn man noch weiter will, dann kostet das extra. Und so kommt's, dass wir, wenn immer möglich, lieber den Bus nehmen. Da wissen wir, was wir haben. Und wie man sich hier über Kulturen hinweg austauschen kann - einfach toll! Ich frage den Busfahrer auf spanisch, ob er am Machetazo hält und gleichzeitig gibt Leo seinem Hintermann eine Berndeutsch-Lektion: "Hey, was söll das. Wettsch öppe chlaue?" Das Im-Gedrängel-aus-Versehen-in-eine-fremde-Hosentasche-fassen scheint jedoch glücklicherweise nicht so beliebt zu sein. Jedenfalls fühlen wir uns sicher in der Innenstadt - mögen tu ich sie trotzdem nicht, weil ich eben keine Städte mag. Und Panama City ist nun wirklich auch kein Bijou.
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Panama gehört zu den Ländern, in denen man Gemüse und Obst nur dann im Supermarkt kauft, wenn man es zu eilig hat oder es nicht besser weiss. Ansonsten ist der Markt die richtige Adresse. Der grosse Markt ist mitten in der Stadt und ist ganz einfach perfekt.
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Vorallem mal deswegen, weil er sicher ist. Von welchem Markt lässt sich das schon sagen? Auch als fast einzige Gringos können wir uns hier entspannt bewegen und verschaffen uns bei einem Rundgang erst einmal einen Überblick.
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Ein 50-Pfund-Sack Grapefruits für $4! Da lohnt es sich, mit anderen Seglern zusammen zu spannen. Und dann eine Überraschung: Mitten in einer der Hallen kommt ein Guna-Indianer auf uns zu und begrüsst uns überschwänglich. Er ist eine Weile mit Giraldo, dem Gemüsemann in Guna Yala, mitgefahren und hat uns sofort erkannt. Ein grosses Hallo! Weiter geht unser Rundgang. Nach ein paar Feilschversuchen stellen wir fest, dass die Preise für gleiche Ware auch überall gleich sind. Und so kommen wir zu einem unheimlich entspannten Einkaufsvergnügen. Das ewige Handeln-Müssen ist mir einfach verleidet. Wir gehen zurück zum Eingang. Dort warten ein paar Männer mit Sackkarren auf Arbeit. Ein recht kleiner Älterer steht etwas abseits.
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Wir lächeln ihn an und fragen, ob er uns beim Einkaufen helfen würde. Zusammen mit Priska vom Schiff Toskuma beladen wir seinen Karren nach und nach mit Kartoffeln, Orangen, Zitronen, Ananas, Zwiebeln, Rübli, Bananen, Tomaten, Grapefruits... An einem Stand entdecken wir eine violette Frucht, die etwas an eine Feige erinnert. Und weiter vorne noch einen Büschel mit gelben kleinen Früchten. Ich dachte eigentlich, es gäbe hier noch mehr an uns Unbekanntem, aber immerhin, die zwei Früchte haben wir gefunden, probiert, gemocht und gekauft. Der Wagen wird voll und völler und irgendwann frage ich mich nur noch, wer das alles essen soll.
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Zwei Säcke später sind auch die anderen überzeugt, dass es langsam reicht und wir suchen einen Pick-Up, der uns nach Hause fährt. Unser Helfer mit dem Sackkarren war so freundlich und hilfsbereit, dass wir ihm am Ende gern etwas mehr als üblich bezahlen. Er strahlt über das ganze Gesicht, als ob die vier Dollar die Welt für ihn bedeuten. "Quando regresan?" - "Wann kommt Ihr wieder?"
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Die meiste Einkauferei verlief völlig problemlos, vorallem weil Leo die Stadt schon besser kennt als Bern. Aber etwas spannender wurde es mit unserem Herdprojekt. Wir brauchten ein neues Herdgitter (das Gitter über den Herdflammen), weil das alte stellenweise schon fast durchgerostet ist. Die einschlägigen Adressen in der Stadt waren alle für Wochen ausgebucht. Aber in einer kleinen Werkstatt ohne Namen wurde Leo fündig. Ein paar Arbeiter, die normalerweise auf den Containerschiffen schweissen, erklärten sich bereit uns zu helfen. Als wir das Gitter abholen wollten, trauten wir unseren Augen nicht. Den ersten Versuch von ihnen konnte man wirklich nur als Versuch bezeichnen: Die Stäbe waren aufeinander geschweisst, so dass man die Pfannen gar nicht hätte darauf stellen können. Die Leiste, an der die Pfannenhalter angebracht werden, war 90 Grad verkehrt montiert, die Eckstäbe zu kurz und auch sonst war alles krum und schief. Aber mit etwas Geduld konnten wir ihnen nochmals erklären, was wir wirklich brauchen und jetzt sieht es akzeptabel aus. Also naja. Wir müssen schon noch daran herumhämmern... Sie haben sich viele Male entschuldigt und gesagt, sie würden halt sonst nur grobe Dinge schweissen. So kleine und exakte Sachen, damit kennen sie sich nicht aus. Trotz der nicht wirklich vorzeigbaren Arbeit bleibt mir dies in schöner Erinnerung, weil die Arbeiter in der kleinen Werkstatt irgendwo im Nirgendwo so freundlich waren und sich ehrlich Mühe gegeben haben. Aber bevor man sich zu wohl fühlt an einem Ort, von dem man eigentlich weg will, gibt es einen Dämpfer. Vielleicht ja nicht immer, aber hier war es so. Und zwar ziemlich heftig. Eine kleine Firma namens "Gente de Mar" bietet einige Services für Segler an, wie Dinge aus Amerika importieren, Wäsche waschen, Gas auffüllen und Treibstoff verkaufen. Auch bietet sie an, Rettungsinseln zu warten. Die eigentliche Wartungsarbeit wird von einer zertifizierten Firma in Colon erledigt, die Rettungsinseln für die Grossschifffahrt revidiert. Um eine sehr lange Geschichte ganz kurz zu machen: Wir haben ihnen unsere Rettungsinsel mitgegeben und es war der grösste Fehler, den wir bisher gemacht haben. Sie wurde praktisch ungeprüft, fahrlässig verpackt und nicht vollständig mit neuem Material ausgerüstet zurückgebracht. Für $700! [nach einer Offerte für 250!] Der Zustand war danach definitiv schlechter als zuvor. Wir hatten riesen Scherereien, weil wir die "Arbeit" nicht akzeptieren, sprich bezahlen wollten. Am Ende musste sogar die Polizei helfen, denn der Angestellte von der Firma wollte einfach mit unserer Rettungsinsel davon fahren. Die Worte des Chefs Juan: "This is a pirate country. If you fuck with me you loose your raft." Es war ein unglaubliches Theater, bei dem wir uns die übelsten Beschimpfungen anhören mussten. 15 Minuten lang hat er Leo übers Telefon nur angeschrien und es ging einen ganzen Nachmittag bis wir eine Lösung gefunden haben, die einfach nur teures Lehrgeld für uns war. Ich könnte mich seitenweise über diesen Juan aufregen - der nebenbei gesagt kein "richtiger" Panamese, sondern ein Gringo ist, aber ich kann die Geschichte auch aus einem anderen Blickwinkel erzählen: Wie glücklich war ich, als sich die Emotionen gelegt hatten. Glücklich, dass ich mit Leo einen Lebenspartner gefunden habe, der auch in solch schwierigen Momenten Ruhe bewahrt hat und geduldig und immer höflich seinen Standpunkt vertreten hat. Gemeinsam konnten wir auch die Polizei überzeugen, obwohl der sprachliche Vorteil ganz klar auf der anderen Seite war und wir immer wieder heftig den Darstellungen von "Gente de Mar" widersprechen mussten.
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Und so endete unser Panama-Abenteuer. Am nächsten Morgen früh sind wir losgesegelt. Mit kalten Füssen und doch auch ohne. Glücklich, von dieser Stadt wegzukommen! Gleicher Meinung waren auch Neptun und Petrus. Es war ein traumhaft schöner Segeltag: bei schönstem Passatwind und glattem Meer sind wir mit 7 Knoten - und das am Wind und voll beladen - nur so dahin gedüst. Rüber zu den Las Perlas, unserem letzten Stopp in Panama. Was für eine Erholung für die Sinne: Ruhe zwischen zwei Stränden, sauberes Meer, frische Luft, saftiges Grün auf den Inseln, hunderte von Vögeln und ein paar Delfine.
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Wir machten mit unseren Freunden Priska und Tobias (SY Toskuma) ein Grillfeuer und genossen einen wunderschönen Abend. Ihr letzter Abend vor ihrer Überfahrt zu den Marquesas. Als wir wieder zu Hause sind, nutze ich die Zeit für dieses Log und lausche dabei unserer Bordgrille. *zirpzirpzirp-zirpzirp* Ach, wie gut es uns doch geht.
Letzte Änderung am 9 02 2013 durch Gesina und Leo. Feedback/Kontakt