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Logbuch der SY Seluna

Ein Land zwischen Biodiversität und Monokultur

Es ist Freitag Abend halb acht. Morgen brechen wir auf. Unsere bisher grösste Passage von knapp 4'000 Seemeilen liegt vor uns. Und so bleibt mir nicht mehr viel Zeit, die vielen Eindrücke von unserem Monat in Costa Rica zu Papier zu bringen. Also nichts wie los!
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Golfito wird uns in guter Erinnerung bleiben. Es ist ein etwas verschlafenes Strassendorf. Oft waren wir zu Fuss unterwegs. Schon allein das Einklarieren ist ein Fitnessprogramm und ideales Anschauungsbeispiel, was Bürokratie in Mittelamerika bedeuten kann. Von unserem Liegeplatz, der kleinen Marina LandSea, aus geht es einen halben Kilometer zur Immigration. Dorthin bringt man vier Passkopien, vier Crewlisten, vier Kopien der Schiffspapiere, die Originalpässe und die Ausklarierungspapiere des letzten Hafens. Der Angestellte macht daraus vier Häufchen und stempelt die Pässe und Kopien, füllt zwei Formulare aus und weiter geht's zur einen weiteren Kilometer entfernten Quarantäne. Dort gibt man einen der Stapel ab und zahlt $50 für die Quarantäne, die sie nie durchführen, und bekommt dafür nicht mal ein nettes Formular. Weiter zum Zoll. Der ist ganz am anderen Ende - also etwa zwei Kilometer weiter. Immer schön der Strasse nach. Dort gibt's dann wieder einen neuen Zettel, der die temporäre Einführung des Schiffs bestätigt. Nicht verlieren! Weiter zum Port Captain - zurück auf halbem Weg. Und der ist erst mal sauer, dass wir nicht als erstes bei ihm waren. Er bestellt uns in sein Büro. Wir entschuldigen uns und sehen ein, dass wir natürlich erst zu ihm hätten kommen sollen - und am Ende noch mal. Er glaubt unserem treuherzigen Blick, dass wir unsere Lektion gelernt haben und lässt uns ohne irgendwas in der Hand wieder gehen, was uns dann doch verblüfft. Aber es scheint richtig so zu sein.
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Wenn man schnell ist, schafft man das alles an einem Tag. Und wenn man schlau war, dann hat man am Ende zwar ein nass geschwitztes Hemd, aber immerhin keinen Sonnenbrand... Doch nun zum Schönen: Wer die Augen offen hält auf der kleinen Strassenwanderung, der sieht die wunderschönen und sehr seltenen Aras vorbeifliegen. Ihr Krächzen ist von weitem zu hören und ihr Anblick einfach eine Augenweide. Und gleich vor "unserer" Bank sehen wir zwei knallgrüne Leguane auf einem kleinen Gebüsch sich sonnen.
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Der Wald auf dem Hügel hinter Golfito ist Naturschutzgebiet. Zweimal waren wir dort, einmal mit meinen Eltern, einmal mit Gabi und Joachim, Landtouristen, die wir in San José kennengelernt haben. Eine ganze Affenhorde sehen wir über unseren Köpfen springend von einem Baum zum andern die Strassenseite wechseln. Mit grösstem Vergnüngen beobachten wir sie aus nächster Nähe beim Springen, Essen, Klettern, Zanken und etwas schüchterner beim Sex.
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Der Weg durch den Park führt auf den Hügelzug und zwischendurch können wir immer wieder die schöne Aussicht auf die Bucht geniessen. Hier im Wald sehen wir auch ein halbes Dutzend Tukane (drei verschiedene Arten!) und bei der Wanderung auf dem steilen Pfad hinab zurück nach Golfito entdeckt Leo gar einen Blue-Jean. Dieser rote Frosch mit blauen Beinen macht seinem Namen alle Ehre.
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Aber auch kulinarisch gab's Neues für uns. In der Fruteria war eine rote Frucht, die uns als manzana agua, Wasserapfel, vorgestellt wird. Wieso nur haben die Europäer jeder ihnen unbekannten Frucht den Namen Irgendwas-Apfel gegeben? Das ist schon etwas phantasielos. Und mit einem Apfel hat der Wasserapfel nun wirklich nichts gemeinsam. Rot, länglich, extrem saftig, aber mit wenig Geschmack kommt er daher. Leckerer finde ich die Caimitos, oder auf deutsch - haltet Euch fest: Sternäpfel. Sieht aus wie eine lila Feige und hat ein milchiges Fruchtfleisch. Ja, genau, der Vergleich mit dem Apfel liegt nah...
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Mit meinen Eltern sind wir in zwei Tagen nach San José gefahren. Auf dem Weg dorthin haben wir Halt beim berühmtesten Nationalpark Costa Ricas gemacht, dem Manuel Antonio Park. Schon die Anfahrt an all den Hotelanlagen, Touristenrestaurants und Parkplätzen vorbei ist sehr abschreckend. Doch verschiedene Segler haben uns eingebläut: "Wenn Ihr nur einen einzigen Park in Costa Rica anschaut, dann den." Also haben wir uns gegen unser Bauchgefühl entschieden und waren tatsächlich ziemlich begeistert. Wer uns kennt, der weiss: Wir waren natürlich früh morgens dort.
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Und so konnten wir vor dem grossen Ansturm die Aussichtsplätze auf die wirklich schönen kleinen Buchten mit ihren Sandstränden ganz allein geniessen. Schmetterlinge, Affen, Frösche, Echsen in verschiedenster Grösse und eine Schlange haben wir ganz allein entdeckt. Und auf dem Rückweg wurde es uns sehr leicht gemacht: Überall waren die Parkführer mit ein paar gut zahlenden Touristen unterwegs und stellten, wo es etwas zu sehen gab, ihre Fernrohre auf. Wie riesige Pfeile zeigten sie in die Richtung von Faultieren, zwei Woodywoodpeckern und ein paar Brüllaffen. Nur den kleinen grünen Frosch mit den orangen Augen bekamen wir nicht vor die Linse. Haben ihn einfach nicht gesehen.
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Ohne die Parkführer wäre der Park ohnehin nur der halbe Spass. Erst sie bringen die richtige Stimmung, z.B. als hinter einer Gruppe ein pummeliges Nagetier vorbeirennt: "Look, an aguti! Oh, it's an aguti! A central american aguti! There! There it is. An aguti!" Diese Begeisterung muss man erst mal rüberbringen!
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Agutis gibt's im Übrigen sehr viel zahlreicher und einfacher zu sehen im sehr lohnenswerten botanischen Garten Wilson. Neben den verschiedensten Helikonien haben mir vorallem die Bambusse mit ihrer beeindruckenden Höhe gefallen. Der Wind spielt auf den Rohren seine Melodie. Der Park ist etwas höher in den Bergen gelegen, was meine Eltern zu einem "endlich ist's nicht mehr so heiss" hinreissen liess und wir unsere Pullover auspackten. Das GPS behauptet, er sei von Golfito anderthalb Stunden entfernt. Aber was das GPS nicht weiss: Wir warten über eine halbe Stunde an einer Baustelle... Auf der Rückfahrt halten wir beim Restaurant Mirador. Wir essen nebeneinadner, vor uns der Abhang und eine Sicht über das grüne Land hinunter bis zum Meer. Ja, mira d'or! Um es länger geniessen zu können, bestellt Leo das chuleta gigante, das genauso seinen Namen verdiente.

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Aber zurück zu unserer Reise nach San José. Unterwegs zur Hauptstadt haben wir etwas abenteuerlich übernachtet: Meine Eltern hatten uns die Aufgabe gestellt, eine nicht zu heisse Unterkunft für nicht mehr als $20 pro Person, dafür aber mit wenig Stufen, vorallem vor der Dusche zu finden. Und das in der Nähe des berühmtesten Parks... Und so kamen wir nach zehn Kilometern über eine Schotterstrasse mitten im grünen Nichts namens Londres an. Die Zimmer waren einfach, aber okay. Wir lernten, keine Geschäfte bei rückläufigem Merkur abzuschliessen und bei der morgendlichen Dusche sprang mir ein Frosch auf den Rücken.
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In San José angekommen haben wir erstmal gefroren. Es war bewölkt. Das Thermometer am Hauptplatz zeigte 23 Grad. Wir schlotterten in unseren T-Shirts. Hungrig betraten wir ein kleines Bistro. Und, oh Wunder! Was für eine Wohltat! Diese Wärme. Es war so schön warm, dass mir die Preise des Essens ganz egal waren. Hier wollte ich sitzenbleiben. Doch dann kam der Kellner. Es täte ihm leid, die Küche sei wegen Stromausfalls geschlossen. Ach so, es ist nur so warm, weil die Klimaanlage ausgefallen ist!
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Wir kauften im Supermarkt ein paar Chips und Kekse und gingen zur Schweizer Botschaft, wo Leo die Daten für einen neuen Pass aufnehmen liess. Wir waren überrascht, wie einfach und schnell das alles ging. Die Botschafterin selbst bediente das Gerät für Passfoto und Fingerabdruck. Am Ende hätten wir noch eine Zeitung mitnehmen können. Eine echte Schweizer Zeitung, aber leider von letztem September...
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Nicht halb so einfach erging es uns bei unserer nächsten Aufgabe: Wir wollten eine Bewilligung, um mit unserer Seluna den Nationalpark Isla del Coco zu besuchen. Da wir, wie schon erwartet, auf unsere E-Mail-Bewerbung mit allen möglichen Anhängen keine Antwort erhalten hatten, gingen wir auf Angriff. Unser Taxifahrer war sehr engagiert, telefonierte dreimal mit der Dame im Nationalparkbüro und wir wurden doch nicht fündig. Irgendwann stand sie draussen auf der Strasse und winkte uns hinein. Doch drinnen angekommen, hiess es gleich erst mal, wir bräuchten einen Anwalt, der sei aber nicht da. Er beglaubige die Kopien unserer Dokumente - dabei standen wir doch mit den Originalen im Büro!
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Und weiter hiess es, es ginge sowieso nicht mit unseren Papieren. Aber wir kennen die Mittelamerikaner schon ein bisschen. Also nicht gleich Panik bekommen, sondern einfach mal weiterhin vor dem Pult stehen bleiben und abwarten. Und ja, richtig, es gibt doch jemanden, der das alles in die Wege leiten kann. Und ja, die Papiere gehen ja doch. Und nach zwei Telefonaten mit dem Ranger auf der Coco-Insel war uns auch klar, was noch an Unterlagen fehlte. Sie wollen unter anderem einen genauen Stundenplan für die Besuchstage auf der Insel haben. Der Ranger war so nett, und hat ihn Leo gleich diktiert: Tag 1: vormittags schnorcheln, nachmittags wandern. Tag 2: Die Rangerstation besuchen, danach schnorcheln usw. "Die im Büro brauchen das für die Bewilligung. Und wenn Ihr hier seid, dann schauen wir, auf was Ihr Lust habt und wie das Wetter ist." Das hörte sich doch schon sehr viel sympathischer an!
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Kaum waren wir wieder zurück im Hotel hatten wir schon zwei weiter Mails, was denn noch alles fehle für unseren Antrag. Zwei Faxe später hatten wir auch das geschafft. Wir haben den Permiso nach nur drei Wochen!!!
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Mit dem Bus ging's von der Hauptstadt San José über einen verwunschenen Nebelwaldpass, durch ein Tal mit einer Szenerie, die uns an ein tropisches Wallis denken liess hinab nach Süden. Und dann kamen die Plantagen: Ananas, so weit das Auge reicht. Und auf den Plantagen wächst kein anderer Grasshalm. Nur Ananas. Hier wird mächtig mit Gift nachgeholfen, das ist offensichtlich. Del Monte-Plantagen ohne Ende. Und dann die Ölpalmen. Viele Kilometer gibt's nichts anderes zu sehen. Zum guten Glück hat dieses Land den Ökotourismus entdeckt und gibt so Gegensteuer gegen diese Monokulturen.
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Costa Rica wird uns in guter Erinnerung bleiben. Die Ticos sind so auffallend freundlich. Auf dem Markt bekommen wir die uns unbekannte Cashew-Frucht zum Probieren (ja, die Frucht, nicht die Nuss), in San José begleitet uns ein Geschäftsmann zur etwas versteckt gelegenen Bushaltestelle und in Golfito fährt der Gemüsehändler unsere vielen Einkäufe mit dem Fahrrad nach Hause, damit wir nicht so schwer tragen müssen. So oft wird uns ein Lächeln geschenkt. Es gibt immer ein Aber: es wird auch viel gestohlen. In der Woche als wir in San José waren, wurden in den Nachrichten gleich drei Überfälle auf Touristen gemeldet und kaum waren wir zurück auf der Seluna, wurde auf dem Nachbarschiff eingebrochen. Das dritte Mal in einem Monat. Wir konnten die bestgelegenste Boje ergattern und unsere Seluna blieb verschont. Und so bleibt uns Costa Rica in bester Erinnerung. Pura vida!
Letzte Änderung am 16 03 2013 durch Gesina und Leo. Feedback/Kontakt