Logo

Logbuch der SY Seluna

Isla del Coco ist Pura Vida

Für Eilige: Die Ticos sagen immer und überall "pura vida". Es heisst soviel wie gut, hallo, auf Wiedersehen, kein Problem. Gleich doppelt hinter einander ist es auch oft als "over" auf dem Funk zu hören. Wir dachten erst, es sei ein Werbespruch des Tourismusbüros, aber "pura vida" wird hier gelebt. Es ist Lebensfreude. Und nirgendwo sonst haben wir es so oft gehört wie auf Isla del Coco. Und nirgendwo sonst empfanden wir es als passender.
20130322_191600_610.jpg
Für alle mit etwas Zeit: Im Morgengrauen erreichen wir Chatham Bay im Norden der Isla del Coco. Was für ein Anblick! Wer mich kennt, der weiss: Ich mag Bäume, Felsen und Wasser. Hier gibt es einfach alles in einem Superlativ. Steil ragt die vulkanische Insel aus dem Meer. Ringsum stürzen zahllose Wasserfälle über die Felsen direkt in den Ozean. Die Insel ist üppig grün und abgesehen von zwei Rangerstationen unbewohnt. Kaum haben wir an einer Boje festgemacht, begrüsst uns der Ranger Roberto, prüft die Papiere, beantwortet alle unsere Fragen und schenkt uns gar noch eine Staude reife Bananen. Was für ein schönes Ankommen!
20130321_144954_250.jpg
Der Nationalpark, ein UNESCO Naturerbe, wird von den anderen costaricensichen Parks quersubventioniert. Hier gibt es kaum Tourismus. Auf der Insel verbindet ein Weg die beiden Rangerstationen, ein anderer zu einem Wasserfall ist wegen Erdrutsch gesperrt und für den dritten, auf den höchsten Berg (634m), braucht man einen Führer und eine Sonderbewilligung. Bleibt also das Meer. Und das lockt hier Taucher aus aller Welt an: Mantarochen, Walhaie, grosse Hammerhaischulen, Seidenhaie, Galapagoshaie, Delfine und grosse Fischschwärme, Gelbflossenthunfische und Marlins. Bei so einer Aufzählung schlägt jedes Taucherherz höher. Roberto markiert uns die schönsten Schnorchelspots und sagt uns netterweise auch gleich, wo wir was sehen können oder sollten wir sagen: womit wir zu rechnen haben? Der beste Ort überhaupt sei Isla Manuelita, ein kleiner Fels, den nur etwa 50 Meter von der Insel trennen. Dort seien öfter Hammerhaie unterwegs und zur Zeit sei auch ein Tigerhaipärchen zu Besuch. Er stolze vier Meter lang, sie anderthalb Meter länger.
20130321_201439_350.jpg
Endlich scheint sich der Regen in der Chathambucht zu legen. Roberto meinte dazu nur, auf Isla del Coco gebe es zwei Jahreszeiten: in der feuchten Jahreszeit regne es jeden Tag, in der Regenzeit eigentlich ununterbrochen. Es heisst also, die Sonnenstunden gut zu nützen... Roberto wird abgeholt und wir gehen erst mal ins Bett. Etwas ausgeruhter und gut gestärkt nach dem Mittagessen machen wir uns auf zu einem ersten Dinghyausflug. Wir wollen uns Manuelita mal vom Trockenen aus anschauen. Doch neugieriger noch als wir sind die Rotfusstölpel, an deren Bäumen wir vorbeifahren. So ein gelbes Dinghy mit zwei Schweizern drin haben sie noch nie gesehen. Und sie wollen es alle sehen. Und zwar aus nächster Nähe. Immer wieder fliegen sie uns an, drehen nur anderthalb Armlängen über uns noch die Köpfe zu uns hin. Süss, aber doch auch irgendwie beängstigend. Ich schwenke meinen Hut, aber so leicht lassen sie sich nicht verscheuchen. Und am Ende sind sie hartnäckiger als wir und wir kehren 100m vor Manuelita wieder um, setzen uns in Selunas Cockpit und geniessen von hier die wunderschöne Aussicht. Morgen ist auch noch ein Tag.
20130322_211101_350.jpg
Die Nacht fällt. Die Sonne geht auf: Zweiter Tag auf Coco. Am Vormittag wagen wir uns das erste Mal ins Wasser. Weit weg vom Haifelsen, versteht sich. Es hat keine Weichkorallen und so wirkt alles etwas karg. Aber ein paar bunte Fische und eine bestimmt sehr leckere Languste zeigen sich. Ein recht grosser Thunfisch erschreckt uns, ein kleiner Weisssppitzenhai zieht unter uns seine Runden. Ja, das war nett und harmlos.
20130322_145700_350.jpg
Da die Sonne scheint, nutzen wir die Gunst der Stunde für einen Besuch bei Manuel. Er bewohnt ganz allein die Rangerstation in der Chatham Bay und hat noch nicht einmal ein Boot, weshalb also Roberto von der anderen Bucht rüberkam, um uns zu begrüssen. Manuel freut sich sehr über unseren Besuch. Er zeigt uns gern die Station, erzählt uns von fehlenden Seegesetzen gegen die Fischer, die zu nah zur Insel kommen und zeigt uns den Cocos Fink. Ja, genau wie's auf Galapagos den Darwinfink hat, gibt's auch hier eine endemische Finkenart. Nur wird sie etwas seltener fotografiert.
20130322_155158_350.jpg
Von der Station aus wandern wir los Richtung Wafer Bay. Doch schon nach 20 Metern zerfallen die Sohlen meiner teuren Lowa-Wanderschuhe in ihre Einzelteile. Darum ein Tipp an all die Segler da draussen, die vielleicht von einer ähnlichen Reise in die Tropen träumen: Lasst Eure teuren Schuhe zu Hause. Sie vertragen das Klima hier nicht. Auch die teuersten Schuhe gehen kaputt. Am besten halten sich noch die Turnschuhe oder eben Crocs. Nun gut, enttäuscht gehe ich eben in meinen Sandalen weiter. Der Weg steigt an durch buschiges Gelände. Ein Schwein nimmt quiekend Reiss aus.
20130322_195522_350.jpg
Auf dem Hügel entdecken wir eine endemische Echse. Leicht gemacht, denn es gibt nur eine Art, und die ist endemisch. Oder ist sie endogen, oder war's ergonomisch? Erotisch, ästhetisch, astronomisch, aeronautisch, epileptisch, eukalyptisch, oder was? Ein paar Wortspielereien später stehen wir schon zuvorderst auf der Klippe und geniessen die Aussicht über die Bucht. Die Tiere hier zeigen kaum Scheu und wir können Rotfusstölpel und Fregattvögel aus nächster Nähe beobachten. Selbst ein Reh schaut uns erst eine Weile unsicher an, bevor es dann doch davon springt. Ein Reh?!? Ja, tatsächlich wollte sich hier einmal ein Deutscher namens Gissler niederlassen, vielleicht gemeinsam mit Gleichgesinnten. Ich wollte im Internet über ihn forschen, aber eben, es gibt hier kein Internet. Also bleibt mir im Moment nur zu sagen: Er hat die Rehe und Schweine eingeführt. Vielleicht auch die Katzen und Ratten, aber das weiss ich nicht wirklich.
20130323_185305_350.jpg
Also zurück zu weniger Spekulativem: Am folgenden Tag fahren wir, mutiger geworden, rüber zu Manuelita. Die Tölpel erinnern sich an uns und lassen uns tatsächlich in Ruhe: "Gähn, schon wieder die Schweizer..." Nach etwas Zögern wagen wir uns vorsichtig ins Wasser. Nichts zu sehen. Wir halten uns beide am Dinghy fest und schnorcheln der steilen Wand entlang. Bei einem grossen Felsbrocken dann gibt's alles auf einmal: bunte Fische, zwei grosse Thunfische und weiter unten gar noch zwei Hammerhaie!!! Der eine kommt nochmal zurück, um noch ein drittes Mal unter uns durchzuschwimmen. Doch dann, plötzlich, fängt er an den Kopf hin und her zu werfen. Und dann ist er weg. Vermutich hat er mit dieser Drohgebärde nicht uns gemeint. Vermutlich. Aber wenn nicht, wen haben wir nicht gesehen?
20130323_212551_350.jpg
Der zweite Schnorchelgang führt uns diesmal in den Pass zwischen Manuelita und der Hauptinsel. Zwischen aufgestellten Felsplatten entstehen hier Täler, in welchen die Weissspitzenhaie patroullieren. Wir sehen vielleicht ein Dutzend. Was für ein majestätischer Anblick. Darüber bunte Fische in jeder beliebigen Grösse. Wir können uns gar nicht satt sehen. Einmal wagen wir uns etwas
20130323_184801_350.jpg
weiter weg von der Flachstelle rüber zu Manuelita. Es geht plötzlich von etwa drei Metern steil bergab auf vielleicht 20 Meter und wir sehen nur noch blau. Ich verliere jede Orientierung, habe keine Ahnung, wie weit ich überhaupt sehen kann, denke an grosse Haie, die's hier geben soll und schwupp bin ich im Dinghy. Müde und sehr zufrieden sitzen wir abends im Cockpit, schauen uns an, wie Fregattvögel versuchen, den anderen Vögeln ihre Beute abzujagen. Eine Schildkröte sagt uns gute Nacht. Es ist einfach ein traumhafter Ort! Und wir noch immer ganz allein in der Bucht.
20130322_153936_610.jpg
Wir waren so begeistert von unserem letzten Schnorchelausflug, dass wir am nächsten Morgen, frisch gestärkt durch Frühstücksei und Zopf, noch einmal dorthin fahren. Die Strömung ist jedoch so stark, dass sich die Driftschnorchelgänge anfühlen wie ein viel zu schnell abgespielter Film.
20130324_191655_350.jpg
Wir umrunden mit dem Dinghy Manuelita, entdecken ein beeindruckendes Bluehole und fahren wieder zurück zum Pass. Alles ist wie gewandelt. Keine Strömung mehr, aber Fische! Man würde sich aus Angst vor Tierschützern nie trauen, so viele so eng in ein Aquarium zu stopfen. Zwei grosse Schwärme an der Oberfläche, zwei weiter unten. Dazwischen allerlei bunte Einzelgänger und natürlich dürfen auch die Weissspitzenhaie nicht fehlen. Wir staunen begeistert und bleiben im Wasser, bis die Fische wieder verschwunden sind. Ich bin im Dinghy, Leo noch im Wasser. Was macht der denn da noch so lange? Sind doch keine Fische mehr da. Schon ziehe ich wieder meine Taucherbrille über, um mal nachzusehen, was es zu sehen gibt, da sitzt Leo plötzlich im Dinghy, die Füsse mit den Flossen nach oben gestreckt. Sieht sehr lustig aus! Ich dachte, er sei irgendwie vom Rand gefallen, da meint er nur: "Jä, heschnä denn nid gseh?" Und für einen Augenblick steht die Zeit still.
20130324_171545_350.jpg
Ein Riesenhai schwimmt knapp unter der Wasseroberfläche ganz nah an unserem Dinghy vorbei. Es war wie im Streichelzoo. Ich konnte ihn so gut sehen, dass ich sofort überzeugt war, es sei ein Tigerhai. Leo hatte einen Weissspitzenhai unter sich im Visier, als plötzlich dieses Tier neben ihm auftauchte. Neugierig schwamm er langsam vorbei und Leo schoss zwei unglaubliche Fotos, bevor er dann nicht hektisch, aber doch bestimmt den Rückzug antrat.
20130324_171559_350.jpg
Roberto hatte uns beruhigt mit den Worten, Tigerhaie seien zwar sehr neugierig, aber nicht gefährlich. "When there's plenty of fish why eat garbage?" Ja, hat auch mir eingeleuchtet. Und auf dem Flach von vielleicht zwei drei Metern fühlte ich mich auch sicher. Hab ja nicht im Traum daran gedacht, dass wir dort einen Vier-Meter-Tigerhai sehen könnten. Wenn schon, dann doch ganz weit weg irgendwo im tiefen Wasser. Ja, so kann man sich täuschen. Ich beneide Leo jedenfalls nicht um dieses Erlebnis. Am Nachmittag verholen wir zur Waferbay, die nur ein kleines Stückchen südlicher liegt. Wir paddeln mit dem Dinghy zur Rangerstation rüber. Aber niemand begrüsst uns dort und so zotteln wir eben wieder ab. Wir ziehen unser Dinghy ein paar Meter weit ins Wasser, steigen ein und paddeln los. Kurz darauf sehen wir im trüben Wasser einen kleinen Hai. Und als wir uns genauer achten, sehen wir, dass die ganze Bucht nur so wuselt von jungen Schwarzspitzenhaien. Na, unsere Füsse haben sie jedenfalls in Ruhe gelassen.
20130321_195541_610.jpg
An unserem letzten Tag auf der Isla del Coco gehen wir am Gissler-Rock schnorcheln. Ein paar süsse Fische, ein Quoten-Weissspitzenhai (damit wir sagen können: Wir sind bei jedem Schnorchelgang mindestens einem Hai begegnet) und eine Muräne können wir entdecken. Und das war nach dem gestrigen Tag auch eigentlich ganz gut so. Mehr Aufregung brauchten wir gerade nicht. Den Nachmittag verbrachten wir mit, haltet Euch fest: einer ausgiebigen Süsswasserdusche! Die Rangerstation hatte Duschen und Wasser. Und so füllten wir unsere Tanks, befreiten unsere Neoprenanzüge vom Salz und ich vorallem auch mal meine Haare.
20130326_165912_250.jpg
Der einzige grosse Nachteil an unserer Routenwahl über die Isla del Coco war, dass sich unser Gemüsevorrat zwei Wochen nach unserer Abreise von Golfito schon so langsam im Nichts auflöste. Und wir hatten ja den grössten Teil der Reise erst noch vor uns! Also fragten wir bei unserem Nachbarn Oceanos Aggressor, einem der Tauchschiffe an, ob sie uns nicht vielleicht ein bisschen frisches Gemüse auf die lange Überfahrt mitgeben könnten. Und wie sie konnten: eine ganze Kiste mit Salat und Tomaten, Gurken, gleich drei Ananas und zwei Melonen. Und obendrauf schenkte uns der lächelnde Koch auch noch einen ganzen Schokoladekuchen! Was haben wir um die Wette gestrahlt.
20130326_175215_350.jpg
Dann nahte der Abschied von der Insel. Wir fuhren ihrer Küste entlang, konnten uns kaum sattsehen an ihrer Schönheit. Es fing an zu regnen. Und so regnete es tatsächlich nur zweimal in den fünf Tagen: Als wir ankamen und als wir wieder wegfuhren. Was für ein Glück wir hatten! Die Insel verschwindet langsam am Horizont. Ein paar Delfine sagen uns noch auf Wiedersehen und dann ist es ringsum nur noch blau, oben wie unten. Unsere längste Überfahrt hat begonnen. 3'500 Seemeilen liegen vor uns.

Nachtrag zu Gissler auf Isla del Coco (3.5.2013)

Ich hatte gehofft, eine Geschichte über einen Mann zu finden, der wie so viele andere vergeblich versuchte, fernab der Zivilisation eine anders funktionierende Gemeinschaft aufzubauen. Aber nein, ich wurde enttäuscht. Keine Drogengeschichten, keine abstrusen religiösen Rituale, keine freie Liebe, nein, Gissler war ganz einfach nur ein Schatzgräber. Ein ziemlich erfolgloser noch dazu. Irgendwie kam er zu zwei Schatzkarten aus verschiedenen Quellen, die das gleiche Versteck auf Isla del Coco beschrieben. Aber offensichtlich nicht sehr genau. Und so ging's los: In traumhaftschöner Umgebung hat er zwanzig Jahre lang im Dreck gebuddelt, ganze Stollen gegraben und hat doch nicht gefunden, wonach er suchte. Tja, wievielen Menschen es wohl in ihrem Leben ähnlich ergeht?
Letzte Änderung am 4 06 2013 durch Gesina und Leo. Feedback/Kontakt