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Logbuch der SY Seluna

Makemo, unser erstes Südseeatoll

Ein Ring aus Korallenkalk, -schutt und -sand. 70 km lang und 20 km breit. Auf der Nordostseite dicht bewachsen mit Kokospalmen und allerlei Gestrüpp, auf der Südwestseite gleicht es eher einer Mondlandschaft. Die spitzen Korallenfelsen sehen aus wie Lavagestein. Das ist Makemo, unser erstes Ziel in den Tuamotus. Zwei schiffbare Pässe führen in die Lagune. Wir fahren im Ostpass Arikitamiro hinein und machen unsere Seluna mit Heckanker und Bugleine am Pier fest. Neben uns liegen doch tatsächlich noch zwei andere Segelboote, wobei das eine einem ansässigen Franzosen gehört und das andere zwei Tage später in Richtung Marquesas aufbricht. Die Segelsaison geht dem Ende zu, wir sind allermeistens allein.
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Wir melden uns bei der Police Municipale an und erkunden Pouheva, das einzige Dorf auf Makemo. Tausend Einwohner soll es haben, 300 ist unsere Schätzung, aber sehen tun wir nur etwa zwanzig. Der grösste Dorfladen hat sogar eine Zweigniederlassung ein paar hundert Meter weiter. Hier gibt es alles zu kaufen, nur das Gemüse ist doch etwas gar teuer. Mit einem Kopfschütteln stellen wir fest, dass vor jedem Häuschen ein 4WD-Pickup steht. Aber wohin soll man denn damit fahren? Die topfebene, geteerte Strasse geht nur bis zum knapp 10 km entfernten Flugplatz. Auf unsere Frage nach dem Warum bekommen wir ein Achselzucken und ein: "Das ist eben der Fortschritt" zurück. Ein Boot wäre sinnvoll. Kaum gedacht, sehen wir ein paar knallige Speedboats mit Riesenmotoren unter einem Dach.
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Warum sie nicht im Wasser sind? Seit die Preise für Perlen gesunken sind, können sie sich das Benzin nicht mehr leisten. Einheimische Segelboote sehen wir nicht, dabei weht hier doch fast das ganze Jahr ein steter Passat. Früher habe es viele gegeben. Warum das heute nicht mehr so ist? Erneutes Schulterzucken. Das sei nicht modern.
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Mit viel Theatralik, halb in französisch, halb in einem der Tuamotu-Dialekte erzählt uns ein Einheimischer, wie der Ort zu seinem Namen kam. Einst wollte der König von Tahiti sich die hiesige Dorfschönheit zur Frau nehmen. Die Auserwählte aber war dagegen und die Einwohner des Dorfes schützten sie, erzählten dem König, sie hätte schon weisse Haare und sei gar nicht mehr schön. Der König liess sich aber nicht so einfach von seiner Idee abbringen, reiste an und drohte mit Krieg. Und so gab sie schweren Herzens und mit Tränen in den Augen nach und verliess Makemo, um ihre Familie und Freunde zu schützen. Pouheva - die weinende Perle.
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Auch heute ist der Ort nicht wirklich glücklich. Pouheva scheint etwas trostlos. Die Zäune und Mauern zwischen den Grundstücken wirken fremd und überflüssig. Eine zu grosse Kathedrale beherrscht das Dorfbild. Und überhaupt sind es viel zu viele Häuser für viel zu wenig Menschen, zu wenig Leben. Irgendwie hält uns hier nichts. Wir segeln ans Ostende des Atolls und ankern in einem Sandpool, der so türkis leuchtet, dass es fast schon schmerzt in den Augen. Dazu im Hintergrund die weissen und rosafarbenen Sandstrände mit Palmen. All das in angenehmem Klima der Subtropen - es ist einfach wunderbar! Jeden Tag staune ich wieder auf's Neue über diese Farbenpracht.
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Ein Boot fährt zu uns, schenkt uns ein paar Kokosnüsse und wir revanchieren uns mit Pampelmusen und Zitronen. Schon sind wir eingeladen. Was für ein Festmahl wird uns serviert! Fisch roh, eingelegt, gegrillt, geräuchert und in Teig gebacken. Dazu Reis und eine Art frittiertes Brot. Wir lernen, dass nicht nur der Trieb einer Kokospalme essbar ist, sondern auch das Innere des Stammes und bei gewissen Nüssen (coco sucré) sogar die fasrige Aussenschale.
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Etwas unbedacht fragen wir, ob denn auch die Riesenmuscheln, die man hier überall so zahlreich sieht, essbar seien. Schon nimmt uns der Schwiegersohn des Gastgebers mit an den Strand, holt zwei Riesenmuscheln aus dem Wasser, zeigt uns, welche Teile man essen kann und welche einen Hund in fünf Minuten töten. Auch zwei Perlenmuschel öffnet er für uns und wir versuchen brav alles, was er uns gibt. Naja, wir fanden die rohen Muscheln nicht wirklich lecker, aber immerhin gab's auch kein Bauchweh. Ungewohnt für uns war, dass wir das ganze Mahl allein zu uns genommen haben und die anderen nur zusahen.
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Hubert, unser Gastgeber, ist ein sehr interessanter Gesprächspartner. Geboren auf den Australinseln, später auf Makemo aufgewachsen, danach war er unter anderem auch in Frankreich und hat sich am Ende ganz bewusst für dieses einfache und ruhige Leben als Kopraproduzent auf Makemo entschieden. Einfach ist es wirklich. Ein Wellblechdach schützt seine Matratze vor Regen. Er hat einen selbstgebauten Tisch, Stühle, eine paar Töpfe und eine Zisterne. Das war's dann aber auch. Jedes Eckchen seines Grundstücks hat er liebevoll mit Muscheln dekoriert. Überall wachsen kleine Nutz- und Zierpflanzen, manche in einer Sardinenbüchse, die grösste in einem türlosen und umgekehrten Kühlschrank. Angeschwemmte Bojen und Trossen säumen die Wege. Die Pfannen hängen an einem alten Fischernetz. Hubert hat sein eigenes kleines Wunderland erschaffen. Er geniesst sein Leben und ist abends nicht betrunken wie so viele. Vielleicht, weil er anderes gesehen und das Leben hier gewählt hat.
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Eines Abends ist das Meer spiegelglatt. Wir setzen uns ins Dinghy, paddeln über die Korallenblöcke und schauen uns die Korallenpolypen an, die nur nachts zu sehen sind. Wir entdecken unzählige Riesenmuscheln mit ihren wunderschön blau, grün oder violett gefärbten Lippen. Eine gelb-schwarze Nacktschnecke kriecht über eine Koralle. Ein paar Fische verstecken sich in kleinen Höhlen. Ein Schwarzspitenhai kommt neugierig vorbei. Wir nennen ihn den Quotenhai. Denn seit Coco sind wir es uns gewohnt, im Wasser immer mindestens einem Hai zu begegnen. Ein paar Tage später wird uns klar werden, dass das hier ein kleines Bisschen anders ist...
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Wir segeln in der Lagune nach Westen. Stellt Euch das vor: keine Wellen und steter Passat. Während Leo aufpasst, dass wir auf keinem der zahlreichen Unterwasserfelsen auflaufen, melde ich mich ganz freiwillig zum Abwasch und Kochen. Hier im topfebenen Lagunen-See wird's nicht einmal mir unter Deck schlecht. Auf dem Weg zum Westpass machen wir noch einen Anker-Zwischenstopp und gehen mal auf der Luvseite am Aussenriff spazieren.
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Vielleicht hört sich das ja für Euch verrückt an, aber wir geniessen dort nicht unbedingt die Sicht auf das weite Meer, den Korallenstrand oder die Palmen. Nein, das Strandgut, das hat es uns angetan. Wie kleine Kinder laufen wir immer weiter an Plastikflaschen vorbei, über kaputte Flipflops und Amaturenteile, prüfen Bojen auf ihre Unversehrtheit, staunen über die Dicke der Trossen und untersuchen eingehend eine Solarboje mit GPS-Antenne. Sie markiert jetzt Makemo und nicht mehr ein Fischernetz. Beladen mit ein paar gelben Bojen und einem gummierten Geflecht, mit dem wir unseren Ankerkasten auskleiden wollen, geht's zurück.
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Bis wir ein paar Tage später beim Westpass Tapuhiria ankommen, hat der Passatwind wieder aufgedreht. Wir verbringen Stunden mit der Suche nach einem wenigstens ein bisschen geschützten Ankerplatz ohne zu grosse Korallenblöcke. Es schaukelt uns auf Seluna ein bisschen durch und ich will mir die Füsse am Strand vertreten. Ein kleiner Schwarzspitzenhai verfolgt das Dinghy bis zum Strand. Nach ein paar Metern zu Fuss entdecken wir die nächsten zwei kleinen Haie. Dann kommt ein Ammenhai und mit ihm gehe ich "Gassi" bis zu den Felsen 100 m weiter vorne. Dort sehen wir gleich eine Ansammlung von vielleicht weiteren sechs Schwarzspitzenhaien. Und so langsam dämmert es uns, dass hier der Begriff "Quotenhai" ausgedient hat. Egal, wohin wir den Blick auch wenden, Haie gibt's hier überall, selbst im nur knöcheltiefen Wasser.
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Wir spazieren zur Aussenseite und überall raschelt es wie trockenes Laub: farbige Krebse ohne Ende. In den Tümpeln zwischen den Felsen leben Horden von Seegurken und Schlangensternen. Und wir scheuchen eine der Muränen auf. Erschrecken sie wohl so sehr, dass sie Reissaus nimmt, sich viele Meter über die Steine hinweg in tieferes Wasser schlängelt. Wir wussten gar nicht, dass sie aus dem Wasser gehen können.
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Ja, vielleicht sind das alles noch nicht genügend Gründe, die Tuamotus zu lieben. Aber ich hab mir das Beste für den Schluss aufgehoben: Heute wollten wir nur mal eben mit dem Dinghy zum Pass fahren, um zu sehen, ob unsere Gezeitenberechnung auch stimmt.
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Plötzlich ruft Leo: "Whuaa..." Ich zucke vor Schreck zusammen, drehe mich viel zu spät um... Wir fahren weiter hinaus und dann staunen wir gemeinsam: Ein Blas, eine Rückenflosse, noch ein Blas. Der tiefe Ton beim Ausatmen lässt die Grösse seiner Lungen erahnen. Der Buckelwal ist nur etwa 200 Meter von uns entfernt. Und dann springt er aus dem Wasser. Gleich drei Mal! Noch selten hab ich mich so klein gefühlt. Gleichzeitig hätte ich die ganze Welt umarmen mögen. Wir ganz allein in unserem Dinghy im ruhigen Wasser vor einem Südseeatoll. Und dann dieser Wal. Es war atemberaubend.
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Wir also am nächsten Tag gleich wieder hin. Und tatsächlich sind Wale vor dem Pass - diesmal drei Stück. Zwei von ihnen lassen sich mit der Flut rückwärts in den Pass hineintreiben. Dort schwimmen sie an der Stelle, heben die Brustflossen, einer dreht sich einmal um seine Achse. Sie sind uns ganz nah. So nah, dass wir zwischen Faszination und Bedenken schwanken. Ins Wasser trauen wir uns nicht, ist die Strömung mit ein paar Knoten doch recht stark. So warten wir ab, die Wale ziehen wieder an uns vorbei hinaus und wir gehen etwas später bei Slackwater im Pass schnorcheln. Ja, wunderschöne Korallen, allerlei farbige Fische, ein Hai, ein Barrakuda... Alles wirklich schön und farbenfroh, aber das Highlight bleiben doch klar die Wale. Morgen gehen wir wieder hin! Mit einem Lächeln im Gesicht fuhren wir heim und mit einem Lächeln im Gesicht schlafen wir heute abend ein.
Letzte Änderung am 18 10 2013 durch Gesina und Leo. Feedback/Kontakt