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Logbuch der SY Seluna

Gratwanderung auf den Aorai

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Aber genug gelustwandelt... Die Berge rufen wieder! Das Wetter bleibt uns gut gesinnt, es regnet noch immer kaum, obwohl die Regenzeit schon vor einem Monat hätte anfangen sollen. Und als gleich ein paar Tage Sonnenschein vorhergesagt sind, packen wir in unsere Rucksäcke nicht nur Wasser und was zu Essen, sondern auch Isomatte, Decke und Faserpelz. Jetzt aber! Zusammen mit Klaus fahren wir mit dem Bus nach Pirae. Der Ausgangspunkt für unsere Wanderung ist das Restaurant Belvédère, das 600m oberhalb von Papeete liegt. Doch es ist montags geschlossen und wir stellen uns schon auf einen längeren Fussmarsch ein. Nach ein paar Metern kommen wir an zwei Elektrikern vorbei, die in ihrem Drei-Türer (und Zwei-Plätzer) Pause machen. Ob sie nicht vielleicht hinauffahren? Nein.
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Doch nach fünf Minuten kommen sie uns doch tatsächlich hinterher. Wir schauen sie ungläubig an - wie soll das gehen? Ihr Material im Kofferraum schieben sie zusammen, unsere Rucksäcke kommen auf das Dach und wir quetschen uns nebeneinander in den Kofferraum, lassen die Beine nach draussen baumeln und halten die Heckklappe, damit sie uns nicht auf die Knie fällt. Was für ein Bild! Vergnügt unterhalten wir uns und danken den beiden herzlich, als sie uns am Belvédère aussteigen lassen und wieder hinunterfahren. Deswegen lieben wir die Polynesier so: so freundlich und unkompliziert.
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Unser Wanderweg führt uns auf den Aorai, den mit 2066m dritthöchsten Gipfel von Tahiti. Und Ihr habt es bestimmt schon erraten: Es ist ein Kretenweg. Denn wie sonst will man da hinauf kommen, wenn doch alle Felswände fast senkrecht abfallen? Um es vorweg zu nehmen: Es ist die spektakulärste Wanderung, die ich je gemacht habe. Der Weg ist anfangs noch etwas breiter, bis man zum ersten Refuge kommt. Ab dann geht es über die wirklich sehr schmale Krete.
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Stellenweise geht es auf beiden Seiten bis zu tausend Meter steil hinunter und es gibt kaum Felsen oder Bäume, an denen man sich halten könnte. Konzentriert setzen wir einen Fuss vor den anderen. Jeder Meter lohnt sich, die Aussicht ist atemberaubend. Dann wird der Weg immer steiler. Viele grosse Stufen, unzählige Kletterstellen, teilweise mit Seilen gesichert, stehen uns bevor. An einer Stelle ist der Weg so weit weggerutscht, dass ich den grossen Schritt ohne eine helfende Hand nicht schaffe. Ein kleines Würzelchen ist ein nicht gerade vertrauenserweckender Haltegriff für die andere Hand.
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Ich schwöre mir, dass ich bei der nächsten solchen Stelle aufgebe. Aber es sollte die einzige bleiben. Gegen halb drei sind wir bei der oberen Schutzhütte auf 1800m: eine Hütte ohne jegliche Einrichtung, aber immerhin mit Fenstern und einer Tür und vorallem mit Trinkwasser in einer Zisterne. Etwas oberhalb, auf dem Fundament der vormaligen Hütte, steht heute ein Picknicktisch mit einfach unglaublicher Aussicht. Als es dunkel wird, sehen wir all die Lichter von Papeete und Moorea. Der Vollmond geht auf. Wie kleine Kinder rennen wir auf der kleinen Plattform hin und her, schauen runter, zeigen den anderen, wie schön es doch ist, erhaschen Blicke durch die Wolken auf den Gipfel des Aorai und den gegenüberliegenden Marau.
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Doch alles hat seinen Preis: Die Nacht ist bitter kalt. Wir kuscheln uns mit Thermohemd und langen Hosen unter drei Decken und frieren trotzdem. 12 Grad zeigt das Thermometer. Und dann fängt es an zu regnen. Ich wälze mich hin und her und kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie wir diesen Weg wieder hinunterkommen sollen, wenn er rutschig ist. Es hört auf zu regnen, nur um etwas später richtig anzufangen. Es schüttet. Ich versuche mich zu beruhigen.
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Der nächste Morgen empfängt uns mit strahlendem Sonnenschein. Kaum eine Wolke zu sehen. Und die Aussicht verschlägt uns die Sprache. Spektakulär! Von unserer Hütte geht es noch 250 Meter hinauf zum Gipfel. Aber dazwischen liegen noch vier weitere, kleine Gipfel. Hoch und runter, hoch und runter. Kurz vor dem vierten Gipfel geben Leo und ich auf. Im Hinterkopf haben wir den weiten, schwierigen Abstieg und zudem glauben wir nicht, dass die Aussicht sich überhaupt noch toppen lässt. Klaus geht ein paar Minuten allein weiter. Aber als er zurück kommt, meint er, der letzte Gipfel sei schlichtweg nicht zu schaffen, wenn es rutschig ist. Der Weg führt vorher steil hinunter, kein Seil und auch sonst kein Halt auf dem rutschigen Erdweg. Und so kehren wir um.
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Den ganzen Weg zurück bis zur ersten Schutzhütte ist das Wetter einfach perfekt. Die Aussicht ist grandios und der Weg erstaunlich gut zu meistern trotz des feuchten Untergrundes. Manche Stellen sind zwar sehr rutschig, aber dort bieten Baumwurzeln gute Haltegriffe. Zwei Seile mehr hätten wir uns gewünscht, aber am Ende ging alles gut. Erst als wir wieder beim Restaurant sind, fängt es leicht an zu regnen. Kurz darauf nimmt uns ein Auto mit und fährt uns tatsächlich bis zur Marina zurück. Was haben wir für ein Glück - und was haben wir am nächsten Tag für einen Muskelkater! Doch wir sind uns einig: Jeder Schritt hat sich gelohnt. Die Wanderung auf den Aorai ist ganz einfach atemberaubend.
Letzte Änderung am 23 01 2014 durch Gesina und Leo. Feedback/Kontakt