Logo

Logbuch der SY Seluna

Leberkäfer

Leo und ich betraten ein winziges Büro in der dritten Etage und setzten uns auf die beiden mit grünem Stoff bezogenen Sessel. Zwischen uns stand eine Skulptur auf einem kleinen Beistelltischchen. Die Wand zu unserer Linken war verdeckt durch ein Regal aus dunkelbraunem Holz, vollgestellt mit allerlei Büchern und Familienfotos in Bilderrahmen. Rechts an der Wand hingen grosse und kleine gemalte Bilder in Goldrahmen, so auch ein dunkel gehaltenes Porträt von einem alten Mann in Anzug und Hut und mit einem markanten Gesicht. Vor uns war ein schwerer dunkler Bürotisch, darauf ein Telefon und ein paar Akten. In dem bequemen Bürosessel dahinter sass ein 81-jähriger Mann, der uns freundlich und neugierig anblickte. Vielleicht hatten wir Glück, dass Leo genau dieses Büro ausgewählt hatte aus der langen Liste, die im Parterre gegenüber den Liften hing. Aber im ersten Augenblick dachte ich, ich wäre völlig am falschen Ort. Dabei fiel mir das Denken nicht gerade leicht...
Panama-Bild
Zwei Wochen lagen hinter uns, in denen wir uns immer mehr Sorgen machten. Ich hatte Schmerzen im Brustkorb und wurde von Tag zu Tag schwächer. Dann bekam ich es mit der Angst zu tun, als ich eines Tages nicht einmal mehr den Kopf anheben konnte, ohne dass mir furchtbar schwindlig und schlecht wurde. Eine befreundete Ärztin von einem anderen Schiff schickte mich besorgt nach Panama City ins Paitilla, dem wie man sagt besten Krankenhaus des Landes. Während ich versuchte, mich vor der Fahrt etwas auszuruhen, organisierte Leo den Transport, machte Seluna bereit für einen längeren Aufenthalt ohne uns, packte alles, was wir brauchen würden, gab unseren Freunden Bescheid und fand über all dem kaum noch Schlaf. Am Montag früh holte uns die Lancha ab. Ich klemmte mich zwischen zwei Sitzreihen und liess mich von den hohen Wellen durchschaukeln. Wahrlich kein Vergnügen, wenn die Rippen schmerzen. Die 50 Meter zum Jeep schaffte ich nur noch mit Leos Hilfe. Während der Fahrt schauten alle besorgt zu mir, aber ich bekam nicht mehr viel mit. Als wir die Autobahn erreichten, fuhr unser Fahrer wie ein Henker und ich schlief endlich ein. Und da waren wir: Centro Medico de Paitilla. Es ist ein dem Krankenhaus angeschlossenes Ärztehaus mit einer unüberschaubaren Anzahl von Praxen von allen nur vorstellbaren Spezialisierungen. Leo erkundigte sich nach einem Arzt, der fliessend englisch spricht, und so landeten wir schon kurze Zeit später in diesem kleinen Büro. Dr. Dutaris Diagnose war eine entzündete und stark vergrösserte Leber. Er verschrieb mir Vitamine und gab verschiedene Tests in Auftrag. Nach ein paar Tagen wusste er, es würde kein Medikament helfen. Nur Ruhe, Diät und noch mehr Ruhe. Es sollte zwei Wochen und zwei Hotelwechsel dauern, bis klar wurde, dass ich an einer infektiösen Mononukleose erkrankt war. Da meinte er: "Jetzt hat es einen Namen." Seine Augen lächelten dazu ein Na-Und. Er fand immer wieder die richtigen Worte, manchmal auch zwischen den Zeilen, und war ein äusserst interessanter Gesprächspartner. Oft waren wir bei ihm, manchmal stundenlang. Und trotz der Umstände war es eine Freude, ihn kennenzulernen, einen Arzt der alten Schule, der in seinem Beruf aufgeht, sich wirklich Zeit nimmt für seine Patienten, sich um sie sorgt und sie in seine Gebete einschliesst.
Meisen-Bild
Und warum die Hotelwechsel? Das erste Mal vorallem wegen der vielen Kakerlaken und Ameisen, die über mein Obst herfielen. Und das zweite Mal, weil die ausgesuchte Lodge nach ein paar Nächten ausgebucht war und es unmöglich ist, in Panama City ein Restaurant zu finden, das vegetarische und möglichst fettarme Speisen anbietet. Der sympathische Lodgemanager half uns daraufhin, ein Appartement mit Küche zu finden. Es war die perfekte Wahl: ruhig und in einem sehr guten Quartier gelegen, mit Garten, schneller Internet-verbindung und gar Waschmaschinen-mitbenützung.
Elektroinstallations-Bild
Eine der wenigen guten Bäckereien in Panama City war gleich auf der anderen Strassenseite und der riesige Fernseher gegenüber dem Bett. Und endlich bekam ich alles zu essen, was meine Leber begehrte: Reis und Kartoffeln und Gemüse... Einzig der Durchlauferhitzer in der Dusche war etwas abenteuerlich installiert und das WC lief einmal über. Wir haben uns sehr wohl gefühlt dort und empfehlen es entsprechend weiter.

Seit drei Wochen sind wir nun zurück auf unserer Seluna. Leo zaubert immer wieder neue schmackhafte Menüs und verdient daher den Titel "Meisterkoch der Leberdiät". Er umsorgt mich und ist da, wann immer ich ihn brauche. Und das war oft in letzter Zeit.

Epilog: Ein Freund warnte uns davor, schlechte Neuigkeiten in die Heimat zu schicken. Aber im fernen Ausland zu einem Arzt zu müssen, ist ein Abenteuer für sich und gehört meiner Meinung nach eben auch zu einem Reisebericht. Und ganz nebenbei macht es klar, warum Ihr solange auf ein neues Log von uns warten musstet.

Letzte Änderung am 9 04 2012 durch Gesina und Leo. Feedback/Kontakt